Sonderhefte

Wortgetreu und unverfälscht?

Haben wir in der Gesamtausgabe Texte Rudolf Steiners?

ISBN: 978-3-935679-05-3
Einband: kartoniert
Informationen: 76 Seiten
Inhaltsverzeichnis: Download als PDF
Preis: 10,00 €

Kurzbeschreibung

Mit Beiträgen von Wolfgang Gädeke und Christward Kröner 

 

 

Kann man davon ausgehen, daß die Vorträge Rudolf Steiners in der Gesamtausgabe wortgetreu und unverfälscht wiedergegeben sind? Sind es authentische Wortlaute Steiners? Gibt es erhebliche, auch sinnverändernde Eingriffe in den überlieferten Text - Stenogramme oder Ausschriften - durch die Herausgeber, die dem Leser nicht kenntlich gemacht werden?

Wolfgang Gädeke und Christward Kröner untersuchen in diesem Band die Arbeitsweise der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung anhand der sogenannten Theologenkurse. Den Herausgebern der Nachlaßverwaltung lagen keine anderen Textquellen vor als den Autoren dieses Flensburger Heftes, die die ursprünglichen Fassungen der Vortragsausschriften mit den entsprechenden Bänden der Gesamtausgabe verglichen haben. Und sie kommen zu einem beunruhigenden Ergebnis:

Bei der erheblichen Anzahl der Eingriffe in die Quellentexte geht es nicht nur um stilistische Korrekturen, sondern häufig um willkürliche, nicht nachvollziehbare, sinnverändernde Eingriffe. Der Text wird vielfach geändert, unvollständige Sätze werden ergänzt, es werden sogar neue Texte erstellt oder auch ganze Absätze weggelassen. Und dies jeweils, ohne die Eingriffe kenntlich und durchschaubar zu machen.

Dieser Band enthält auch eine Fragenbeantwortung durch Walter Kugler, dem Leiter des Archives der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung.

 

 

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Rezension in Lazarus, 1/2002
Rezensentin: Monika Neve

Wer ist der Autor?
"Haben Sie schon einmal erlebt, wie in einer anthroposophischen Arbeitsgruppe beim Durcharbeiten eines Vortrages von Rudolf Steiner manche Formulierung Steiners genauestens erwogen wird, bis in die Zeichensetzung hinein, um den ganzen Gehalt einer Aussage möglichst genau zu erfassen? Und ist Ihnen dabei schon einmal der Gedanke gekommen, daß diese Formulierung so womöglich gar nicht von Rudolf Steiner stammt, sondern von den Herausgebern des entsprechenden Vortragsbandes? Die Herausgeber weisen selbst in den Hinweisen der Vortragsbände manchmal auf die unzureichende Qualität von Quellentexten hin, die daher einer Bearbeitung bedurften. Und sie räumen auch ein, daß überlieferte Vortragsmitschriften generell der Bearbeitung bedürfen", mit diesen Worten führt die Flensburger Hefte-Redaktion in ihrem jüngst erschienenen Sonderheft ein. Es beinhaltet Artikel von Wolfgang Gädeke, Lenker der Christengemeinschaft in Norddeutschland, und von Christward Kröner, Priester der Christengemeinschaft, sowie eine Fragenbeantwortung, gerichtet an die Leitung der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, die (unbequemen) Fragen stellte das Mitglied der Flensburger Hefte-Redaktion Klaus-Dieter Neumann.

Es ist sicher kein Zufall, daß just Priester der Christengemeinschaft sich der Frage der Authentizität von sogenannten "Steiner-Texten" annehmen. Seit vielen Jahrzehnten wird innerhalb anthroposophischer Kreise (auch im "Lazarus" in den ersten Jahrgängen) immer wieder gegensätzlich darum gerungen, was man von Rudolf Steiners Auffassung vom Verhältnis der anthroposophischen Bewegung als solcher zur Bewegung für religiöse Erneuerung, der Christengemeinschaft, zu halten hat. Es ging vor allem um die Frage, wie das Verhältnis zueinander beschaffen sein mußte, damit man im Sinne des Gedeihens beider Bewegungen das Richtige tun könnte. Und dabei berief man sich - neben der eigenen Erfahrung - vor allem auf Rudolf Steiners veröffentlichte Äußerungen ... Vor allem in solchen Zeiten, als die anthroposophische Bewegung noch als "Bewegung" gesamtgesellschaftlich auftrat und sichtbar war, war dies eine Frage ... Heute sieht da manches anders aus als noch vor 20 Jahren - auch in den Zweigen und den sogenannten "Tochterbewegungen".

Nun, was hat Rudolf Steiner denn nun wirklich gesagt? Oder ist das, was unter seinem Namen in der Gesamtausgabe (GA) veröffentlicht wird, durchaus oft gar nicht von ihm?

"... Für die von Rudolf Steiner selbst schriftlich niedergelegten Texte, besonders für die von ihm selbst zum Druck bestimmten oder sogar von ihm für den Druck bearbeiteten ursprünglich mündlichen Texte, die in der Gesamtausgabe (GA) fast alle in den Bänden 1 bis 45 vorliegen, ist diese Frage wohl fast ausschließlich mit Ja zu beantworten. Alle übrigen ca. 300 Bände enthalten Texte, die seiner mündlichen Rede entstammen - in Vorträgen, Konferenzen und Besprechungen -, die zunächst alle von ihm selbst nicht zur schriftlichen Veröffentlichung gedacht waren, weil er selbst sehr genau zwischen dem geschriebenen und dem gesprochenen Wort unterschieden hat", schreibt Gädeke und führt näher aus, wie es zu dem immensen, jetzt schriftlich vorliegenden Werk nach Steiners mündlichen Vorträgen etc. gekommen ist. Gädeke stellt fest, daß auch bei sehr mangelhaften Voraussetzungen - sogar dann, wenn die Herausgeber selbst darauf hinweisen ("Die hier wiedergegebenen Texte können daher größtenteils nicht als wörtliche Wiedergabe des von Rudolf Steiner Gesprochenen betrachtet werden", GA 56, S.344) - "die vorliegenden Texte meistens empfindungsmäßig als 'Worte Rudolf Steiners' genommen" werden. Und er bemängelt, daß so gut wie nie zu erkennen sei, welchen Anteil die Textunterlagen (Mitschriften von Mitgliedern, Stenographen u.a.), die ja auch noch von verschiedener Qualität sein können, und welchen die Herausgeber in der Bearbeitung hätten. Erst sehr spät und in letzter Zeit hätte man in der Nachlaßverwaltung eine Anregung Ehrenfried Pfeiffers aufgenommen (von 1948), nämlich da, wo es mehrere Textversionen gäbe, diese nebeneinanderzustellen (s. GA 266/1-3).

Nun gibt es aber auch Veröffentlichungen, die sich nicht mehr auf die Originalstenogramme der beauftragten Stenographen stützen können, sondern nur noch auf die erhaltenen ersten (und damit übertragenen) Langschriften (maschinengeschrieben oder gedruckt). Das wäre der Fall bei vier von fünf für Theologen gehaltenen Vortragsreihen. An diesen studierten nun Gädeke und Kröner beispielhaft die Arbeitsweise des Herausgeber. Denn diesen lag als Ausgangsmaterial nichts anderes vor als den Autoren der Beiträge selbst. Und sie müssen dabei feststellen, daß es bei einer erheblichen Anzahl von Eingriffen in diese Quellentexte gar nicht einmal nur um stilistische Korrekturen geht, "sondern häufig um willkürliche, nicht nachvollziehbare sinnverändernde Eingriffe. Der Text wird vielfach geändert, unvollständige Sätze werden ergänzt, es werden sogar neue Texte erstellt oder auch ganze Absätze weggelassen, und dies jeweils, ohne die Eingriffe kenntlich und durchschaubar zu machen".

Nun weiß jeder Journalist, daß mündlich Vorgetragenes oder in hin und her gehenden Gesprächen Geäußertes selten druckreif ist und fast immer einer Bearbeitung bedarf. Diese Bearbeitungen werden (z.B. in Interviews) natürlich auch nicht angemerkt: aber hier hat der Autor bzw. der zu veröffentlichende Sprecher selbst immer die Möglichkeit, eine falsche, sinnentstellende Bearbeitung zu korrigieren etc. Schwieriger ist es schon, wenn man Texte bearbeitet von einem Partner, der Deutsch nicht als Muttersprache spricht - und der sich dann mehr oder weniger darauf verlassen muß, daß die Übertragung seiner Äußerungen den Sinn auch richtig wiedergibt.

Gädeke und Kröner bringen nun verschiedene konkrete Gegenüberstellungen des vorliegenden Quellentextes und von für sie (und den Leser) nicht nachvollziehbaren Veränderungen, um die Art der Eingriffe darzustellen, mit dem Vorwurf von Textverfälschung, Trivialisierung, nicht nachvollziehbaren Streichungen, Relativierungen u.a. - In den Fragen von K.-D. Neumann an Dr. Walter Kugler, den Leiter des Archivs der Rudolf Steiner-Nachlaßverwaltung, ging es deshalb u.a. auch um die Gründe für konkret dargestellte Änderungen. Auf vieles gab es keine Antwort ... (dokumentiert im Heft). - Wer die editorische Aufgabe der Nachlaßverwaltung kennt, wird wissen, wie schwer diese ist. Und - so Kugler - eine (wissenschaftliche) historisch-kritische Ausgabe sei gar nicht finanzierbar. Das aber, so Neumann, wäre ja auch nicht nötig, eine textkritische Ausgabe könnte den Zweck bereits erfüllen ...

Eine weitere wichtige Veröffentlichung aus Flensburg!

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